Wenn das Unternehmen schließt
Die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe stellt Arbeitnehmer vor besondere Herausforderungen. Wenn der Arbeitgeber sein Unternehmen vollständig aufgibt oder wesentliche Betriebsteile stillegt, entstehen komplexe rechtliche Fragen. Welche Fristen müssen eingehalten werden? Haben Sie Anspruch auf eine Abfindung? Können Sie gegen die Kündigung vorgehen?
Diese Situation tritt häufiger auf, als viele denken. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oder bei strukturellen Veränderungen in einzelnen Branchen sehen sich Unternehmen zur Geschäftsaufgabe gedrängt. Für Arbeitnehmer bedeutet dies nicht nur den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern oft auch Unsicherheit über ihre rechtliche Position.
Die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe unterliegt besonderen rechtlichen Regelungen. Während Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt sind, bei vollständiger Geschäftsaufgabe zu kündigen, müssen sie dabei dennoch die arbeitsrechtlichen Vorgaben beachten. Dies umfasst insbesondere die Einhaltung von Kündigungsfristen, die Berücksichtigung des Kündigungsschutzes und die ordnungsgemäße Durchführung des Kündigungsverfahrens.

Das Wichtigste im Überblick
- Geschäftsaufgabe berechtigt zur betriebsbedingten Kündigung – Arbeitgeber können bei vollständiger Geschäftsaufgabe ordentlich kündigen, müssen aber strenge Voraussetzungen beachten
- Kündigungsfristen bleiben bestehen – Auch bei Geschäftsaufgabe gelten die gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen, Ausnahmen sind nur in besonderen Fällen möglich
- Abfindungsansprüche entstehen oft – Arbeitnehmer haben bei betriebsbedingten Kündigungen häufig Anspruch auf eine Abfindung, deren Höhe verhandelbar ist
Rechtliche Grundlagen der Kündigung bei Geschäftsaufgabe
Gesetzliche Basis
Die rechtlichen Grundlagen für Kündigungen wegen Geschäftsaufgabe finden sich primär im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Nach § 622 BGB gelten auch bei betriebsbedingten Kündigungen die gesetzlichen Kündigungsfristen. Diese können je nach Beschäftigungsdauer zwischen vier Wochen und sieben Monaten betragen.
Das Kündigungsschutzgesetz regelt in § 1 Abs. 2 die Voraussetzungen für betriebsbedingte Kündigungen. Eine Kündigung ist demnach sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen. Die vollständige Geschäftsaufgabe stellt grundsätzlich ein solches dringendes betriebliches Erfordernis dar.
Abgrenzung zur Betriebsstilllegung
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen einer vollständigen Geschäftsaufgabe und einer bloßen Betriebsstilllegung. Bei der Geschäftsaufgabe wird die gesamte unternehmerische Tätigkeit eingestellt, während bei einer Betriebsstilllegung möglicherweise nur einzelne Betriebsteile betroffen sind. Diese Unterscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung der Kündigung.
Bei einer vollständigen Geschäftsaufgabe entfällt die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung im Unternehmen komplett. Dies erleichtert es dem Arbeitgeber, die Sozialauswahl zu rechtfertigen, da objektiv keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind, auf die andere Arbeitnehmer umgesetzt werden könnten.
Kündigungsfristen bei Geschäftsaufgabe
Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Annahme, dass bei Geschäftsaufgabe die normalen Kündigungsfristen nicht gelten. Tatsächlich sind auch bei der Kündigung wegen Geschäftsaufgabe die gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Diese ergeben sich aus § 622 BGB. Längere Kündigungsfristen können sich aus dem Arbeitsvertrag oder aus Tarifverträgen ergeben. Diese sind vorrangig zu beachten.
Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung wegen Geschäftsaufgabe
Unternehmerische Entscheidung zur Geschäftsaufgabe
Grundvoraussetzung für eine Kündigung wegen Geschäftsaufgabe ist eine echte unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers, das Unternehmen vollständig aufzugeben. Diese Entscheidung muss endgültig und unwiderruflich sein. Bloße Überlegungen oder vorübergehende Schwierigkeiten reichen nicht aus.
Die Geschäftsaufgabe muss tatsächlich erfolgen oder zumindest konkret geplant und unumkehrbar eingeleitet sein. Arbeitgeber können sich nicht auf eine bloße Absichtserklärung berufen, wenn diese nicht durch entsprechende Maßnahmen untermauert wird. Hierzu gehören etwa die Kündigung von Geschäftsräumen, die Abmeldung bei Behörden oder die Liquidation von Vermögensgegenständen.
Kausalität zwischen Geschäftsaufgabe und Kündigung
Zwischen der Geschäftsaufgabe und der Kündigung muss ein kausaler Zusammenhang bestehen. Die Kündigung muss gerade durch die Geschäftsaufgabe bedingt sein. Erfolgt die Kündigung aus anderen Gründen, während gleichzeitig eine Geschäftsaufgabe stattfindet, ist sie nicht automatisch durch diese gerechtfertigt.
Problematisch wird es, wenn die Geschäftsaufgabe erst nach Ausspruch der Kündigung beschlossen wird. In solchen Fällen fehlt es an der erforderlichen Kausalität, da die Kündigung nicht durch die Geschäftsaufgabe veranlasst war.
Einhaltung der Sozialauswahl
Auch bei Geschäftsaufgabe ist grundsätzlich eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen, wenn mehrere Arbeitnehmer von der Kündigung betroffen sind. Allerdings wird diese Prüfung bei vollständiger Geschäftsaufgabe oft gegenstandslos, da objektiv keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind.
Anders verhält es sich bei teilweiser Geschäftsaufgabe oder wenn nur bestimmte Betriebsbereiche stillgelegt werden. Hier müssen die sozialen Gesichtspunkte wie Lebensalter, Betriebszugehörigkeitsdauer, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung angemessen berücksichtigt werden.
Besondere Personengruppen und Kündigungsschutz
Schwangere und Mütter in Elternzeit
Auch bei Geschäftsaufgabe genießen schwangere Arbeitnehmerinnen und Mütter in Elternzeit besonderen Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) und dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Eine Kündigung ist grundsätzlich unzulässig und bedarf der behördlichen Zustimmung.
Bei vollständiger Geschäftsaufgabe kann diese Zustimmung unter bestimmten Voraussetzungen erteilt werden. Der Arbeitgeber muss jedoch nachweisen, dass die Geschäftsaufgabe tatsächlich und endgültig erfolgt und dass eine Weiterbeschäftigung objektiv unmöglich ist.
Schwerbehinderte Arbeitnehmer
Schwerbehinderte Menschen genießen nach dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) besonderen Kündigungsschutz. Vor jeder Kündigung muss die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden. Auch bei Geschäftsaufgabe bleibt dieser Schutz bestehen.
Das Integrationsamt prüft dabei nicht nur die Rechtmäßigkeit der Kündigung, sondern auch, ob alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen oder geschaffen werden können. Bei vollständiger Geschäftsaufgabe wird die Zustimmung in der Regel erteilt, da objektiv keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht.
Betriebsratsmitglieder
Betriebsratsmitglieder genießen während ihrer Amtszeit und ein Jahr danach besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG. Eine ordentliche Kündigung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Auch bei Geschäftsaufgabe kann eine Kündigung nur unter sehr engen Voraussetzungen und mit gerichtlicher Zustimmung erfolgen.
Praktische Tipps für betroffene Arbeitnehmer
Sofortige Reaktion bei Erhalt der Kündigung
Nach Erhalt einer Kündigung wegen Geschäftsaufgabe sollten Sie nicht zögern, rechtlichen Rat einzuholen. Die Frist für eine Kündigungsschutzklage beträgt nur drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Lassen Sie diese Frist verstreichen, wird die Kündigung unwiderlegbar wirksam, auch wenn sie rechtswidrig war.
Dokumentieren Sie den Zugang der Kündigung genau. Notieren Sie sich Datum und Uhrzeit der Zustellung und bewahren Sie alle Unterlagen sorgfältig auf. Diese Informationen sind für eine spätere rechtliche Prüfung von entscheidender Bedeutung.
Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen
Lassen Sie prüfen, ob die Geschäftsaufgabe tatsächlich erfolgt oder nur vorgeschoben ist. Nicht selten versuchen Arbeitgeber, betriebsbedingte Kündigungen durch die Behauptung einer Geschäftsaufgabe zu rechtfertigen, obwohl der Betrieb in anderer Form fortgeführt wird.
Achten Sie auf Indizien wie die Weiterführung des Geschäfts unter anderem Namen, die Übertragung auf Familienangehörige oder die Fortführung durch eine neu gegründete Gesellschaft. In solchen Fällen liegt möglicherweise ein Betriebsübergang vor oder die Kündigung ist aus anderen Gründen unwirksam.
Verhandlung über Abfindungen
Bei betriebsbedingten Kündigungen können Verhandlungen über Abfindungen sinnvoll sein. Dies gilt auch bei Kündigungen wegen Geschäftsaufgabe. Die Höhe der Abfindung ist oft Verhandlungssache und hängt von verschiedenen Faktoren wie der Beschäftigungsdauer, dem Alter und den Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage ab.
Nutzen Sie Ihre Verhandlungsposition. Auch wenn eine Geschäftsaufgabe vorliegt, können formelle Fehler bei der Kündigung oder Verstöße gegen den Kündigungsschutz Ihre Position stärken. Ein erfahrener Arbeitsrechtsanwalt kann die Erfolgsaussichten einer Klage realistisch einschätzen und entsprechende Verhandlungen führen.
Wenn Sie Fragen zur Kündigung wegen Geschäftsaufgabe haben oder rechtliche Unterstützung benötigen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Unsere langjährige Erfahrung im Arbeitsrecht hilft Ihnen dabei, Ihre Rechte zu wahren und bestmögliche Ergebnisse zu erzielen.
Arbeitssuche und Schadensminderung
Auch bei einer rechtmäßigen Kündigung wegen Geschäftsaufgabe sollten Sie aktiv nach einem neuen Arbeitsplatz suchen. Dies dient nicht nur Ihrer beruflichen Zukunft, sondern kann auch rechtlich relevant sein. Bei Schadensersatzansprüchen müssen Sie den entstandenen Schaden so gering wie möglich halten.
Dokumentieren Sie Ihre Bewerbungsaktivitäten sorgfältig. Dies kann bei späteren Verhandlungen über Abfindungen oder bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen hilfreich sein. Nutzen Sie auch die Unterstützungsangebote der Bundesagentur für Arbeit.
Checkliste: Kündigung wegen Geschäftsaufgabe erhalten
Sofortmaßnahmen
- Kündigung auf Datum und Form prüfen (schriftlich?)
- Zugang der Kündigung dokumentieren (Datum, Uhrzeit)
- Alle Kündigungsunterlagen sicher aufbewahren
- Termin bei Arbeitsrechtsanwalt vereinbaren
- Nicht voreilig auf die Kündigung reagieren oder Aufhebungsvertrag unterschreiben
Rechtliche Prüfung (erste Woche)
- Kündigungsfrist prüfen (gesetzlich/vertraglich)
- Kündigungsgrund auf Plausibilität überprüfen
- Sozialauswahl kontrollieren (falls mehrere Arbeitnehmer betroffen)
- Besonderen Kündigungsschutz prüfen (Schwangerschaft, Schwerbehinderung, etc.)
- Betriebsratsbeteiligung kontrollieren
Mittelfristige Schritte (2-3 Wochen)
- Frist für Kündigungsschutzklage beachten (3 Wochen!)
- Abfindungsansprüche prüfen und verhandeln
- Arbeitslosengeld beantragen
- Stellensuche beginnen und dokumentieren
- Zeugnis anfordern
Langfristige Planung
- Verhandlungen über Abfindung führen
- Neuen Arbeitsplatz suchen
- Weiterbildungsmöglichkeiten prüfen
- Finanzielle Situation neu planen
Ihre Rechte bei Geschäftsaufgabe
Die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe ist für betroffene Arbeitnehmer eine besonders belastende Situation. Wichtig ist zu wissen, dass auch in diesem Fall nicht alle Rechte verloren gehen. Die Kündigungsfristen müssen eingehalten werden, der Kündigungsschutz gilt weiterhin, und oft bestehen Ansprüche auf Abfindungen.
Entscheidend ist eine schnelle und kompetente rechtliche Beratung. Die kurze Frist von drei Wochen für die Kündigungsschutzklage lässt wenig Zeit für Überlegungen. Gleichzeitig sind die rechtlichen Fragen komplex und erfordern fundierte Kenntnisse des Arbeitsrechts.
Eine sorgfältige Prüfung der Kündigung kann sich auch bei einer tatsächlichen Geschäftsaufgabe lohnen. Formelle Fehler, Verstöße gegen den Kündigungsschutz oder eine unzureichende Begründung können die Verhandlungsposition erheblich stärken und zu höheren Abfindungen führen.
Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn Sie eine Kündigung wegen Geschäftsaufgabe erhalten haben. Mit der richtigen rechtlichen Beratung und strategischen Herangehensweise können Sie Ihre Interessen bestmöglich wahren und den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis erfolgreich gestalten.
Wir begleiten Sie gerne durch diesen schwierigen Prozess und sorgen dafür, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben. Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung zu Ihrem Fall.
Häufig gestellte Fragen
Ja, auch bei Geschäftsaufgabe gelten die gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen. Eine Verkürzung ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich.
Ein gesetzlicher Abfindungsanspruch besteht nicht automatisch. Allerdings entstehen Abfindungsansprüche oft durch Verhandlungen, Sozialpläne oder bei erfolgreicher Kündigungsschutzklage. Die Höhe hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Ja, auch bei Geschäftsaufgabe können Sie eine Kündigungsschutzklage erheben. Prüfen lassen sollten Sie insbesondere, ob die Geschäftsaufgabe tatsächlich erfolgt und die Kündigung formell ordnungsgemäß ist.
Indizien für eine echte Geschäftsaufgabe sind die Kündigung von Geschäftsräumen, Abmeldung bei Behörden, Veräußerung von Betriebsmitteln und die endgültige Einstellung aller Geschäftstätigkeiten. Bei Zweifeln sollten Sie dies rechtlich prüfen lassen.
Wenn der Betrieb entgegen der Behauptung einer Geschäftsaufgabe weitergeführt wird, ist die Kündigung möglicherweise unwirksam. Sie sollten dann umgehend rechtliche Schritte einleiten.
Ja, der besondere Kündigungsschutz gilt grundsätzlich auch bei Geschäftsaufgabe. Allerdings können die zuständigen Behörden bei nachgewiesener vollständiger Geschäftsaufgabe ihre Zustimmung zur Kündigung erteilen.
Bei vollständiger Geschäftsaufgabe entfällt die Sozialauswahl meist, da objektiv keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Bei teilweiser Geschäftsaufgabe ist eine Sozialauswahl jedoch erforderlich.
Die Frist für eine Kündigungsschutzklage beträgt drei Wochen ab Zugang der Kündigung. Diese Frist ist unbedingt einzuhalten, da die Kündigung sonst als von Anfang an wirksam gilt.
Zunächst sollten Sie die Kündigung nicht vorschnell akzeptieren. Lassen Sie die rechtlichen Voraussetzungen prüfen und führen Sie Verhandlungen über eine Abfindung. Gleichzeitig sollten Sie sich um einen neuen Arbeitsplatz bemühen.
Der Arbeitgeber kann eine verkürzte Kündigungsfrist nur anbieten, nicht einseitig bestimmen. Sie müssen einer Verkürzung ausdrücklich zustimmen. Oft wird dies mit einer höheren Abfindung kompensiert.