Wenn der Arbeitgeber das Geschäft aufgibt
Die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe stellt Arbeitnehmer vor besondere Herausforderungen. Anders als bei anderen betriebsbedingten Kündigungen steht hier die komplette Schließung des Betriebs im Raum. Viele Beschäftigte fragen sich in dieser Situation, welche Rechte sie haben und ob ihnen eine Abfindung zusteht.
Die rechtliche Situation bei Geschäftsaufgabe unterscheidet sich erheblich von anderen Kündigungsgründen. Während bei betriebsbedingten Kündigungen oft alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen geprüft werden müssen, entfällt diese Prüfung bei vollständiger Betriebsschließung. Dennoch bleiben wichtige Schutzrechte bestehen, die Arbeitnehmer kennen und nutzen sollten.
Die Frage nach einer Abfindung bei Kündigung wegen Geschäftsaufgabe beschäftigt sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Während ein automatischer Abfindungsanspruch selten besteht, eröffnen sich durch geschickte Verhandlung oder rechtliche Schritte oft erhebliche Gestaltungsspielräume.

Das Wichtigste im Überblick
- Geschäftsaufgabe berechtigt zur betriebsbedingten Kündigung – Arbeitgeber können bei vollständiger Betriebsschließung ordentlich kündigen, müssen aber alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllen
- Abfindungsanspruch besteht nicht automatisch – Ein gesetzlicher Abfindungsanspruch entsteht nur unter bestimmten Voraussetzungen oder durch Verhandlung
- Kündigungsschutzklage kann Abfindung erhöhen – Auch bei wirksamer Kündigung kann eine strategisch geführte Klage zu höheren Abfindungen führen
Rechtliche Grundlagen der Kündigung bei Geschäftsaufgabe
Kündigungsschutzgesetz als Grundlage
Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) regelt auch die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Die vollständige Geschäftsaufgabe stellt grundsätzlich ein solches dringendes betriebliches Erfordernis dar.
Dennoch müssen Arbeitgeber auch bei Geschäftsaufgabe die Voraussetzungen des Kündigungsschutzes beachten. Dazu gehören die ordnungsgemäße Kündigungserklärung, die Einhaltung der Kündigungsfristen nach § 622 BGB und die Beachtung besonderer Kündigungsverbote.
Betriebsrat und Anhörungsverfahren
Existiert ein Betriebsrat, muss dieser nach § 102 BetrVG vor jeder Kündigung angehört werden. Bei Geschäftsaufgabe sind zusätzlich die Regelungen über Massenentlassungen nach § 17 KSchG zu beachten. Der Arbeitgeber muss die Agentur für Arbeit rechtzeitig über geplante Massenentlassungen informieren.
Die Missachtung dieser Verfahrensvorschriften kann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, auch wenn die Geschäftsaufgabe an sich einen sachlichen Grund darstellt.
Kündigungsfristen und Sonderkündigungsschutz
Auch bei Geschäftsaufgabe gelten die gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfristen. Diese können nicht einfach verkürzt werden, es sei denn, es liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vor. Die bloße Geschäftsaufgabe stellt jedoch keinen solchen wichtigen Grund dar.
Besonderer Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz, Schwerbehindertenrecht oder für Betriebsratsmitglieder bleibt auch bei Geschäftsaufgabe grundsätzlich bestehen. Nur in Ausnahmefällen kann hier eine Zustimmung der zuständigen Behörden erreicht werden.
Abfindungsansprüche bei Geschäftsaufgabe
Gesetzliche Abfindungsansprüche
Ein automatischer gesetzlicher Abfindungsanspruch besteht bei Kündigung wegen Geschäftsaufgabe grundsätzlich nicht. Das deutsche Arbeitsrecht kennt nur wenige Fälle gesetzlicher Abfindungsansprüche.
Der wichtigste Fall ist die Regelung in § 1a KSchG. Hiernach haben Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung, wenn der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt wird und der Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen kann, falls er die dreiwöchige Klagefrist verstreichen lässt.
Tarifvertragliche und einzelvertragliche Regelungen
Wesentlich häufiger sind Abfindungsansprüche aus Tarifverträgen oder Einzelarbeitsverträgen. Viele Tarifverträge sehen bei betriebsbedingten Kündigungen, einschließlich Geschäftsaufgabe, Abfindungsregelungen vor. Diese können deutlich über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen.
Auch in Arbeitsverträgen, insbesondere bei Führungskräften, finden sich oft Change-of-Control-Klauseln oder andere Regelungen, die bei Geschäftsaufgabe Abfindungsansprüche begründen.
Abfindung durch Vergleich
Der häufigste Weg zu einer Abfindung führt über einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich. Auch wenn die Kündigung rechtswirksam ist, haben Arbeitnehmer oft Verhandlungsspielraum. Arbeitgeber sind häufig bereit, Abfindungen zu zahlen, um Rechtssicherheit zu erlangen und langwierige Gerichtsverfahren zu vermeiden.
Strategien zur Durchsetzung von Abfindungsansprüchen
Kündigungsschutzklage als Verhandlungsinstrument
Auch wenn die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe rechtlich haltbar erscheint, kann eine Kündigungsschutzklage sinnvoll sein. Sie eröffnet Verhandlungsspielräume und zwingt den Arbeitgeber, die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu beweisen.
Häufig sind Arbeitgeber bereit, zur Vermeidung eines langwierigen Rechtsstreits eine Abfindung zu zahlen.
Wenn Sie eine Kündigung wegen Geschäftsaufgabe erhalten haben, sollten Sie schnell handeln. Wir unterstützen Sie dabei, Ihre Rechte zu prüfen und durchzusetzen.
Verhandlung über Aufhebungsverträge
Viele Arbeitgeber bevorzugen bei Geschäftsaufgabe den Weg über Aufhebungsverträge statt Kündigungen. Dies bietet beiden Seiten Vorteile: Der Arbeitgeber erhält Rechtssicherheit, der Arbeitnehmer kann oft eine höhere Abfindung aushandeln.
Bei Aufhebungsverträgen ist jedoch Vorsicht geboten. Sie können zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld führen. Außerdem sollten alle Aspekte wie Freistellung, Zeugnis und Sozialversicherung geklärt werden.
Kollektive Verhandlungen
Bei größeren Geschäftsaufgaben entstehen oft Interessengemeinschaften der betroffenen Arbeitnehmer. Gemeinsame Verhandlungen können zu besseren Ergebnissen führen als Einzelverhandlungen. Betriebsräte spielen hier eine wichtige Rolle bei der Aushandlung von Sozialplänend.
Praktische Tipps für Betroffene
Sofortmaßnahmen nach Erhalt der Kündigung
Nach Erhalt einer Kündigung wegen Geschäftsaufgabe sollten Sie zunächst die Kündigungserklärung genau prüfen. Sind alle Formalien eingehalten? Wurde die richtige Kündigungsfrist beachtet? Wurden Sie ordnungsgemäß über Ihre Rechte informiert?
Melden Sie sich umgehend bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend. Dies ist auch dann erforderlich, wenn Sie gegen die Kündigung vorgehen wollen. Die Meldung muss spätestens drei Monate vor dem Kündigungstermin erfolgen.
Dokumentieren Sie alle Unterlagen und Gespräche im Zusammenhang mit der Geschäftsaufgabe. Diese können später als Beweismittel wichtig werden.
Rechtliche Prüfung einleiten
Lassen Sie die Kündigung rechtlich prüfen, auch wenn sie auf den ersten Blick berechtigt erscheint. Oft ergeben sich aus Verfahrensfehlern oder formalen Mängeln Ansatzpunkte für Verhandlungen.
Die dreiwöchige Klagefrist sollten Sie unbedingt im Auge behalten. Nach Ablauf dieser Frist wird die Kündigung unwiderlegbar wirksam, auch wenn sie ursprünglich rechtswidrig war.
Verhandlungsposition stärken
Sammeln Sie Informationen über die tatsächlichen Gründe der Geschäftsaufgabe. Wird das Geschäft wirklich eingestellt oder nur umstrukturiert? Werden einzelne Bereiche verkauft oder ausgelagert?
Prüfen Sie, ob besondere Umstände vorliegen, die Ihre Verhandlungsposition stärken. Dazu können lange Betriebszugehörigkeit, besondere Verdienste oder schwierige persönliche Umstände gehören.
Checkliste: Kündigung wegen Geschäftsaufgabe erhalten
Sofortmaßnahmen (innerhalb einer Woche):
- Kündigungserklärung auf Vollständigkeit und Richtigkeit prüfen
- Bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden
- Alle Unterlagen und Dokumente sammeln und sichern
- Rechtliche Beratung einholen
Bis zur dreiwöchigen Klagefrist:
- Rechtmäßigkeit der Kündigung prüfen lassen
- Eventuelle Ansprüche auf Abfindung oder andere Leistungen klären
- Entscheidung über Kündigungsschutzklage treffen
- Bei Bedarf Klage fristgerecht einreichen
Mittelfristige Schritte:
- Verhandlungen über Abfindung oder Aufhebungsvertrag führen
- Arbeitszeugnis einfordern und prüfen
- Neue berufliche Perspektiven entwickeln
- Sozialversicherungsrechtliche Fragen klären
Langfristige Überlegungen:
- Gerichtliches Verfahren begleiten
- Vollstreckung eventueller Ansprüche sicherstellen
- Berufliche Neuorientierung umsetzen
Besondere Situationen und Sonderfälle
Geschäftsaufgabe während der Probezeit
Auch während der Probezeit gelten bei Geschäftsaufgabe bestimmte Mindeststandards. Die Kündigungsfrist muss eingehalten werden, und auch hier können Abfindungsansprüche aus Tarifverträgen bestehen.Schwangere und besonders geschützte Arbeitnehmer
Der besondere Kündigungsschutz für Schwangere, Schwerbehinderte oder Betriebsratsmitglieder gilt auch bei Geschäftsaufgabe. Hier sind besondere Verfahren einzuhalten, die oft zu Abfindungsansprüchen führen.Leitende Angestellte und Geschäftsführer
Bei Führungskräften sind oft besondere vertragliche Regelungen zu beachten. Change-of-Control-Klauseln oder andere Sondervereinbarungen können erhebliche Abfindungsansprüche begründen.Ihre Rechte bei Geschäftsaufgabe kennen und nutzen
Die Kündigung wegen Geschäftsaufgabe stellt Arbeitnehmer vor komplexe rechtliche und persönliche Herausforderungen. Während ein automatischer Abfindungsanspruch selten besteht, eröffnen sich durch kompetente Beratung und strategisches Vorgehen oft erhebliche Gestaltungsspielräume.
Entscheidend ist, schnell zu handeln und die rechtlichen Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen. Die dreiwöchige Klagefrist und andere Fristen lassen wenig Spielraum für Zögern. Gleichzeitig sollten Sie nicht vorschnell auf Ihre Rechte verzichten oder unüberlegte Vereinbarungen treffen.
Jeder Fall der Geschäftsaufgabe ist anders und erfordert eine individuelle rechtliche Bewertung. Was bei einem Arbeitnehmer zu einer hohen Abfindung führt, mag bei einem anderen nicht greifen. Umso wichtiger ist eine fachkundige Beratung, die alle Aspekte Ihrer Situation berücksichtigt.
Häufig gestellte Fragen
Nein, ein automatischer gesetzlicher Abfindungsanspruch besteht grundsätzlich nicht. Abfindungen entstehen meist durch Verhandlungen, Tarifverträge oder spezielle gesetzliche Regelungen wie § 1a KSchG.
Ja, auch bei Geschäftsaufgabe können Kündigungsschutzklagen sinnvoll sein. Oft bestehen Verfahrensfehler oder formale Mängel, die Verhandlungsspielräume eröffnen.
Üblich sind 0,5 bis 1,0 Monatsverdienste pro Beschäftigungsjahr. Die konkrete Höhe hängt jedoch von vielen Faktoren ab, wie Verhandlungsgeschick, rechtlichen Risiken und den Umständen des Einzelfalls.
Bei vollständiger Geschäftsaufgabe entfällt diese Verpflichtung. Bei Teilbetriebsschließungen muss jedoch geprüft werden, ob eine Weiterbeschäftigung in anderen Bereichen möglich ist.
Die Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung erhoben werden. Nach Ablauf dieser Frist gilt die Kündigung als wirksam.
Wird das Geschäft später fortgeführt, kann dies die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Kündigungen in Frage stellen. Betroffene Arbeitnehmer können dann möglicherweise ihre Wiedereinstellung verlangen.
Aufhebungsverträge können für beide Seiten vorteilhaft sein. Sie bieten oft höhere Abfindungen, können aber zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld führen.
Sie müssen sich spätestens drei Monate vor dem Kündigungstermin arbeitsuchend melden. Bei kürzeren Kündigungsfristen erfolgt die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis der Kündigung.
Ja, Abfindungen unterliegen der Einkommensteuer.
Durch eine Kündigungsschutzklage oder geschickte Verhandlungen lassen sich oft auch bei unwilligen Arbeitgebern Abfindungen erreichen. Eine rechtliche Beratung zeigt die konkreten Möglichkeiten auf.