Kündigung von Schwerbehinderten in der Probezeit
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen nach § 168 SGB IX greift grundsätzlich erst nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit. In der Probezeit, die üblicherweise maximal sechs Monate beträgt, besteht dieser Sonderschutz daher meist noch nicht. Allerdings kann eine Kündigung in dieser Zeit trotzdem rechtswidrig sein, wenn sie aufgrund der Behinderung erfolgt und damit gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt. Entscheidend ist auch, ob der Arbeitgeber überhaupt Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte – ohne diese Kenntnis kann er nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Wird ein schwerbehinderter Arbeitnehmer in der Probezeit gekündigt, sollte er umgehend handeln. Innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist kann er seine Schwerbehinderung mitteilen und die Unwirksamkeit der Kündigung geltend machen – selbst wenn der Feststellungsbescheid erst nach der Kündigung zugestellt wurde. Wichtig ist die schriftliche Dokumentation aller Schritte, idealerweise als Einschreiben mit Rückschein. Eine frühzeitige Rechtsberatung kann helfen, die Erfolgsaussichten richtig einzuschätzen und weitere Schritte, wie etwa Verhandlungen über einen Vergleich mit Abfindung, einzuleiten. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht berate ich Sie diesbezüglich gerne im Detail.

Das Wichtigste im Überblick
- Auch in der Probezeit genießen schwerbehinderte Menschen (GdB ≥ 50) oder ihnen gleichgestellte Personen (GdB 30-40) einen besonderen Kündigungsschutz nach § 168 SGB IX, wobei die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich ist.
- Bei fehlender Kenntnis des Arbeitgebers vom Schwerbehindertenstatus zum Zeitpunkt der Kündigung kann diese trotzdem wirksam sein – eine nachträgliche Mitteilung der Schwerbehinderung kann jedoch eine Kündigungsschutzklage begründen.
- Betroffene sollten bei drohender Kündigung umgehend ihre Schwerbehinderteneigenschaft mitteilen, Widerspruch einlegen, das Integrationsamt einschalten und bei Bedarf rechtliche Unterstützung suchen.
Besondere Herausforderungen bei Kündigungen schwerbehinderter Menschen in der Probezeit
Die Probezeit stellt für viele Arbeitnehmer eine Phase der Unsicherheit dar. Für schwerbehinderte Menschen oder ihnen gleichgestellte Personen gelten jedoch besondere rechtliche Rahmenbedingungen. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass diese Personengruppe auf dem Arbeitsmarkt oft mit besonderen Hürden konfrontiert ist und daher einen speziellen Schutz benötigt – auch während der Probezeit.
Gerade in der oft als “erleichterte Kündigungsmöglichkeit” wahrgenommenen Probezeit ist es für schwerbehinderte Arbeitnehmer entscheidend, ihre Rechte zu kennen. Gleichzeitig müssen Arbeitgeber die besonderen Schutzvorschriften beachten, um rechtssichere Entscheidungen treffen zu können. Die korrekte Anwendung des Schwerbehindertenrechts in Verbindung mit den Regelungen zur Probezeit erfordert eine sorgfältige Analyse und differenzierte Betrachtung.
Rechtliche Grundlagen: Schwerbehindertenrecht und Probezeitkündigung
Definition der Schwerbehinderung nach dem SGB IX
Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen basiert auf dem neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX). Als schwerbehindert gelten nach § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Personen mit einem GdB von 30 oder 40 können schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
Die Feststellung der Schwerbehinderung erfolgt auf Antrag durch das Versorgungsamt, während die Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt wird. Entscheidend ist, dass der Status der Schwerbehinderung oder Gleichstellung amtlich festgestellt sein muss, um den besonderen Kündigungsschutz beanspruchen zu können.
Besonderer Kündigungsschutz nach § 168 SGB IX
Der Kern des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen findet sich in § 168 SGB IX. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Dies gilt grundsätzlich für alle Kündigungsarten (ordentliche und außerordentliche) und unabhängig vom Kündigungsgrund.
Dieser besondere Kündigungsschutz greift allerdings erst, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat (§ 173 Abs. 1 SGB IX). Während dieser ersten sechs Monate – die häufig mit der Probezeit zusammenfallen – gilt der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX also grundsätzlich nicht.
Probezeit im Arbeitsrecht und erleichterte Kündigungsmöglichkeiten
Die Probezeit ist im deutschen Arbeitsrecht nicht ausdrücklich gesetzlich definiert, wird jedoch in § 622 Abs. 3 BGB indirekt erwähnt. Demnach kann während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, das Arbeitsverhältnis mit einer verkürzten Frist von zwei Wochen gekündigt werden.
Die Probezeit dient beide Seiten zur Erprobung der Zusammenarbeit. Während dieser Zeit gelten erleichterte Kündigungsbedingungen:
- Verkürzte Kündigungsfrist (in der Regel zwei Wochen)
- Kein Erfordernis eines Kündigungsgrundes nach dem Kündigungsschutzgesetz
- Keine Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG
Es ist wichtig zu unterscheiden: Die Probezeit selbst und der Ausschluss des allgemeinen Kündigungsschutzes in den ersten sechs Monaten (Wartezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG) sind rechtlich nicht identisch, fallen aber häufig zeitlich zusammen.
Wechselwirkung zwischen SGB IX und Probezeitkündigung
Das Spannungsverhältnis zwischen dem besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen und den erleichterten Kündigungsmöglichkeiten während der Probezeit führt in der Praxis zu komplexen rechtlichen Konstellationen. Entscheidend für die Anwendung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 168 SGB IX ist, ob die Schwerbehinderung dem Arbeitgeber bekannt ist.
Hauptaspekte des Kündigungsschutzes für Schwerbehinderte in der Probezeit
Die 6-Monats-Regelung des § 173 SGB IX
Die 6-Monats-Regelung nach § 173 Abs. 1 SGB IX besagt, dass der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen erst greift, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate bestanden hat. Diese Regelung sorgt in der Praxis oft für Missverständnisse, da sie in vielen Fällen mit der typischen Probezeitdauer übereinstimmt.
Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese sechs Monate unabhängig von der vereinbarten Probezeit zu betrachten sind. Wurde beispielsweise eine kürzere Probezeit von drei Monaten vereinbart, gilt der besondere Kündigungsschutz trotzdem erst nach Ablauf von sechs Monaten. Umgekehrt kann bei einer längeren Probezeit (z.B. in Tarifverträgen) der besondere Kündigungsschutz bereits während der laufenden Probezeit einsetzen.
Kenntnis des Arbeitgebers vom Schwerbehindertenstatus
Ein zentraler Aspekt für die Wirksamkeit einer Kündigung ist die Kenntnis des Arbeitgebers vom Schwerbehindertenstatus des Arbeitnehmers. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine ohne Beteiligung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung nicht unwirksam, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hatte und auch nicht hätte haben müssen.
Allerdings hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung seine Schwerbehinderung mitzuteilen und die Unwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen. Dies gilt auch dann, wenn die Schwerbehinderung erst nach der Kündigung, aber innerhalb dieser Drei-Wochen-Frist festgestellt wird.
Mitteilungspflichten des Arbeitnehmers
Der schwerbehinderte Arbeitnehmer ist nicht grundsätzlich verpflichtet, seinen Schwerbehindertenstatus dem Arbeitgeber unaufgefordert mitzuteilen. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn der Arbeitgeber explizit danach fragt – dann besteht eine Offenbarungspflicht.
Es liegt jedoch im eigenen Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers, seinen Status frühzeitig mitzuteilen, um den besonderen Kündigungsschutz zu aktivieren. Die Mitteilung sollte am besten schriftlich erfolgen, um später Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.
Zustimmungsverfahren des Integrationsamtes
Ist das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden und ist dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung bekannt, muss er vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Das Integrationsamt prüft dabei:
- Ob die Kündigung mit der Behinderung im Zusammenhang steht
- Ob alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen
- Ob durch Leistungen oder begleitende Hilfen das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann
Das Verfahren beim Integrationsamt kann je nach Komplexität des Falls mehrere Wochen in Anspruch nehmen. In dieser Zeit darf der Arbeitgeber die Kündigung nicht aussprechen. Erst nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes kann die Kündigung wirksam erklärt werden.
Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz
Es gibt Situationen, in denen der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen eingeschränkt ist oder nicht gilt:
- Während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (§ 173 Abs. 1 SGB IX)
- Bei fehlender Kenntnis des Arbeitgebers vom Schwerbehindertenstatus (mit Nachmeldeoption innerhalb von drei Wochen)
- In Kleinbetrieben mit weniger als zehn Arbeitnehmern, wobei hier besondere Regelungen für die Anrechnung von Teilzeitkräften gelten
Praktische Tipps für schwerbehinderte Arbeitnehmer in der Probezeit
Offenlegung der Schwerbehinderung – Vor- und Nachteile
Die Frage, ob man seine Schwerbehinderung bereits im Bewerbungsprozess oder zumindest zu Beginn des Arbeitsverhältnisses offenlegen sollte, ist vielschichtig:
Vorteile der frühzeitigen Offenlegung:
- Aktivierung des besonderen Kündigungsschutzes (sobald anwendbar)
- Möglichkeit der Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (z.B. zusätzlicher Urlaub, Steuervorteile)
- Arbeitgeber kann Arbeitsplatz entsprechend anpassen
- Vertrauensvolle Basis im Arbeitsverhältnis
- Arbeitgeber kann ggf. von Förderungen profitieren
Nachteile der Offenlegung:
- Potenzielle Vorurteile oder Diskriminierung
- Befürchtung, gar nicht erst eingestellt zu werden
- Sorge vor besonderer Beobachtung während der Probezeit
Eine differenzierte Herangehensweise kann sinnvoll sein: Ist die Behinderung für die Arbeitstätigkeit nicht relevant und nicht sichtbar, kann ein Abwarten bis zum Ende der Probezeit strategisch klug sein. Benötigt man jedoch Hilfsmittel oder Arbeitsplatzanpassungen, ist eine frühe Offenlegung oft unvermeidbar.
Richtige Dokumentation der Schwerbehinderung
Für den rechtssicheren Nachweis der Schwerbehinderung sind folgende Schritte empfehlenswert:
- Schriftliche Mitteilung an den Arbeitgeber (am besten per Einschreiben mit Rückschein oder persönliche Übergabe gegen Empfangsbekenntnis)
- Vorlage einer Kopie des Schwerbehindertenausweises oder des Feststellungsbescheids
- Dokumentation des Zeitpunkts der Mitteilung (wichtig für spätere Beweisfragen)
- Aufbewahrung aller relevanten Unterlagen (auch Antragsunterlagen bei noch laufenden Verfahren)
Es empfiehlt sich, die Mitteilung der Schwerbehinderung nicht nur an die direkte Führungskraft, sondern auch an die Personalabteilung zu richten.
Verhalten bei drohender Kündigung
Zeichnet sich eine Kündigung ab, sollten schwerbehinderte Arbeitnehmer proaktiv handeln:
- Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen und auf den besonderen Kündigungsschutz hinweisen
- Kontakt zum Integrationsamt aufnehmen und um Beratung bitten
- Schwerbehindertenvertretung im Betrieb (falls vorhanden) einschalten
- Dokumentation aller Gespräche und Vorfälle, die mit einer möglichen Kündigung in Zusammenhang stehen könnten
- Rechtsberatung einholen, idealerweise bei einem auf Arbeitsrecht spezialisierten Anwalt
Einschaltung des Integrationsamtes
Das Integrationsamt kann auch präventiv tätig werden:
- Beratung und Information für Arbeitnehmer und Arbeitgeber über Fördermöglichkeiten
- Begleitende Hilfe im Arbeitsleben, z.B. technische Arbeitshilfen oder Arbeitsassistenzen
- Schlichtungsgespräche bei Konflikten am Arbeitsplatz
- Finanzielle Förderung für die behinderungsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen
Checkliste
- Sofortige Prüfung des Kündigungsschreibens
- Kündigungstermin feststellen
- Kündigungsgrund (falls angegeben) prüfen
- Mitteilung der Schwerbehinderung (falls noch nicht erfolgt)
- Schriftliche Mitteilung an Arbeitgeber (Einschreiben mit Rückschein)
- Kopie des Schwerbehindertenausweises beifügen
- Einhaltung der Drei-Wochen-Frist
- Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung dokumentieren
- Kalenderfrist für die Kündigungsschutzklage berechnen
- Beratung einholen
- Termin bei fachanwaltlicher Beratung für Arbeitsrecht
- Kontaktaufnahme mit Integrationsamt
- Ggf. Schwerbehindertenvertretung im Betrieb informieren
- Widerspruch gegen die Kündigung
- Schriftlichen Widerspruch an Arbeitgeber senden
- Auf fehlende Zustimmung des Integrationsamtes hinweisen (wenn relevant)
- Erhebung der Kündigungsschutzklage
- Terminvereinbarung beim Arbeitsgericht
- Einreichung der Klage innerhalb der Drei-Wochen-Frist
- Beweismittel für die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung sichern
- Weiterbeschäftigungsanspruch prüfen
- Bei offensichtlich unwirksamer Kündigung auf Weiterbeschäftigung bestehen
- Ggf. einstweiligen Rechtsschutz beantragen
- Weiterbeschäftigung während des Verfahrens
- Arbeitsleistung weiterhin anbieten
- Pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen
- Alle Arbeitsvorgänge dokumentieren
- Vorbereitung auf das Gerichtsverfahren
- Alle relevanten Unterlagen zusammenstellen
- Zeugen identifizieren
- Chronologie der Ereignisse erstellen
- Alternative Lösungen erwägen
- Vergleichsverhandlungen
- Aufhebungsvertrag mit angemessener Abfindung
- Weiterbeschäftigung an anderem Arbeitsplatz
Besondere Herausforderungen und Chancen
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen stellt ein wichtiges Element der sozialen Absicherung dar. Gerade in der Probezeit, in der allgemein erleichterte Kündigungsbedingungen gelten, ist die rechtliche Situation jedoch komplex und von verschiedenen Faktoren abhängig.
Entscheidend ist vor allem, ob das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate besteht und ob der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung hat. Schwerbehinderte Arbeitnehmer sollten sich dieser Zusammenhänge bewusst sein und strategisch abwägen, wann sie ihren Status offenlegen.
Die Rechtsprechung hat die Position schwerbehinderter Arbeitnehmer in den letzten Jahren tendenziell gestärkt, insbesondere durch die konsequente Anwendung des Diskriminierungsverbots nach dem AGG. Dennoch bleiben Herausforderungen, vor allem bei der Beweisführung hinsichtlich der Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung.
Für eine erfolgreiche Integration im Arbeitsleben ist ein offener, konstruktiver Dialog zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern unerlässlich. Unterstützende Institutionen wie das Integrationsamt können dabei eine wichtige vermittelnde Rolle spielen und praktische Hilfestellungen bieten.
Im Konfliktfall ist eine frühzeitige rechtliche Beratung unerlässlich, um die eigenen Rechte wahren zu können und mögliche Handlungsoptionen zu erkennen. Die Einhaltung der Fristen, insbesondere der dreiwöchigen Klagefrist, ist dabei von entscheidender Bedeutung.