Erkrankte Arbeitnehmer langsam wieder in das Berufsleben zurückbringen – das ist das Ziel des sogenannten „Hamburger Modells“ der stufenweisen Wiedereingliederung. Dabei kehrt der Arbeitnehmer an seinen Arbeitsplatz zurück und übt Tätigkeiten aus, die ihm trotz seiner Erkrankung möglich sind. Wir erklären, ob während der Wiedereingliederung eine Kündigung möglich ist.
Dieser Beitrag wurde von Herrn Dr. Hartmut Breuer verfasst. Er ist seit mehr als 20 Jahren Anwalt für Arbeitsrecht in Berlin.
I. Die stufenweise Wiedereingliederung (§ 74 SGB V)
Die Voraussetzungen für die stufenweise Wiedereingliederung sind wichtig, um einen Überblick über das Thema zu bekommen.
1. Wann kommt die stufenweise Wiedereingliederung in Frage?
Die stufenweise Wiedereingliederung soll die Rückkehr in das Arbeitsleben erleichtern und fördern. Voraussetzung ist lediglich, dass Sie trotz Krankheit bestimmte Tätigkeiten Ihres Berufs ausüben können. Man spricht von der sogenannten Teilarbeitsfähigkeit, die der zuständige Arzt auf Ihrer Bescheinigung vermerkt.
Sie haben sich entschieden, soweit möglich an den Arbeitsplatz zurückkehren zu wollen? Dann erarbeitet der Arzt und ggf. die Krankenkasse mit Ihnen einen Stufenplan. Darin wird festgehalten, inwiefern Sie Ihre Tätigkeit schrittweise wieder aufnehmen können. Dieser Plan kann drei bis sechs Monate umfassen.
Die Teilnahme an der Wiedereingliederung bleibt aber stets Ihre freiwillige Entscheidung. Genauso ist der Arbeitgeber in der Regel nicht verpflichtet, einer Wiedereingliederung zuzustimmen. Eine Ausnahme kann sich hier für Schwerbehinderte ergeben. Bei Vorlage eines aussagekräftigen Attests können Sie nämlich ggf. einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn der Arbeitgeber die Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Mitarbeiters ablehnt.
2. Welche Pflichten habe ich während der Wiedereingliederung?
Ihr Arbeitgeber muss dem erstellten Plan natürlich zustimmen, damit die Wiedereingliederung beginnen kann. Dabei ist wichtig, dass die Vereinbarung des Wiedereingliederungsplans nichts an Ihrer festgestellten Arbeitsunfähigkeit ändert.
Ihr normales Arbeitsverhältnis ruht aufgrund der Krankschreibung weiter. Das sogenannte Wiedereingliederungsverhältnis ist nämlich rechtlich unabhängig von Ihrem Arbeitsverhältnis. Sie müssen also nicht Ihre volle Arbeitsleistung erbringen und erhalten im Gegenzug auch keinen Lohn, sondern weiterhin das Krankengeld der Krankenkasse.
Grund dafür: Die Wiedereingliederung soll Ihrer Rehabilitation dienen und ist deshalb nicht unter dem klassischen Motto „Arbeit gegen Entgelt“ zu sehen.
Wenn es die gesundheitliche Situation zulässt, sind Sie aber an die Nebenpflichten Ihres Arbeitsvertrags gebunden. Das heißt z.B., dass Sie Weisungen des Arbeitgebers Folge leisten müssen.
II. Die Beendigung der Wiedereingliederung – ohne Weiteres möglich?
Das Wiedereingliederungsverhältnis kann entweder automatisch oder per Erklärung beendet werden. Achtung: Dies hat zunächst einmal nichts mit Ihrem Arbeitsverhältnis zu tun. Wie Sie sehen werden, lässt sich die Wiedereingliederung recht einfach beenden. Für die Kündigung Ihres Arbeitsvertrags gelten deutlich höhere Anforderungen (s. noch unten).
1. Automatische Beendigung
Das Wiedereingliederungsverhältnis ist ein spezielles Vertragsverhältnis. Bei Eintritt bestimmter Bedingungen endet es automatisch:
- Dazu gehört zum einen der Fall, dass die vereinbarte Zeit abläuft. Wenn Sie etwa mit Ihrem Arbeitgeber eine stufenweise Wiedereingliederung über eine Dauer von vier Monaten vereinbart haben, endet mit Ablauf dieser Dauer auch das Vertragsverhältnis.
- Daneben können medizinische Gründe zum Ende der Wiedereingliederung führen, z.B. wenn Ihre Arbeitsunfähigkeit aufgrund vollständiger Genesung endet.
- Auch eine negative medizinische Prognose kann das Ende des Vertragsverhältnisses bedeuten. Der Grund des Vertrages ist therapeutischer Natur. Sollte Ihr Arzt beispielsweise keine hilfreiche Wirkung der Wiedereingliederung mehr sehen, kann das Wiedereingliederungsverhältnis enden.
2. Beendigung per Erklärung
Das Wiedereingliederungsverhältnis ist grundsätzlich eine freiwillige Angelegenheit; dasselbe gilt deshalb auch für das Ende des Vertrages. Sowohl Sie als auch Ihr Arbeitgeber können ihn durch eine einfache Erklärung beenden. Die strengeren Regeln des Kündigungsschutzes greifen hier nicht, weil die Wiedereingliederung kein reguläres Arbeitsverhältnis ist. Ob dabei insbesondere vom Arbeitgeber eine entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist, ist nicht eindeutig geregelt. Hier lohnt es sich ggf., den Rat eines Fachanwalts für Arbeitsrecht in Anspruch zu nehmen.
III. Was passiert mit dem regulären Arbeitsverhältnis?
Das Arbeitsverhältnis ist grundsätzlich unabhängig von der stufenweisen Wiedereingliederung zu betrachten. Dadurch hat auch die Beendigung des Wiedereingliederungsverhältnisses grundsätzlich keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis. Nur in Ausnahmefällen kann es zu solchen Auswirkungen kommen.
1. Kündigung durch den Arbeitnehmer während der Wiedereingliederung
Als Arbeitnehmer können Sie grundsätzlich nach den üblichen Vorschriften Ihr Arbeitsverhältnis ordentlich kündigen. Das liegt ggf. in Ihrem Interesse, wenn das Krankengeld ausläuft und Sie unter Umständen Arbeitslosengeld I beziehen können. Sie müssen lediglich die gesetzliche Kündigungsfrist aus § 622 BGB berücksichtigen. Gegebenenfalls kann sich aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag auch eine andere Kündigungsfrist ergeben.
Für eine außerordentliche Kündigung ist das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes Voraussetzung. Das ist nur selten der Fall.
2. Kündigung durch den Arbeitgeber während der Wiedereingliederung
Auch der Arbeitgeber kann nach den regulären Vorschriften kündigen – allerdings liegt die Hürde für ihn wegen Ihres ausgeprägten Kündigungsschutzes deutlich höher.
In erster Linie steht natürlich eine Kündigung wegen der Krankheit im Raum. Hier gelten die üblichen Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung.
Gegebenenfalls kommt auch eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht. Hier ist wichtig, dass Ihr Verhalten im Rahmen des Eingliederungsverhältnisses nur als außenbetriebliches Verhalten gewertet werden darf. Der Arbeitgeber muss quasi die gleichen Maßstäbe ansetzen wie bei einem Fehlverhalten in der Freizeit. Dies erschwert ihm die verhaltensbedingte Kündigung deutlich.
Besonderer Kündigungsschutz gilt für Schwerbehinderte. Diese Regeln finden ab einem Behinderungsgrad von 50, ggf. auch ab 30 Anwendung. Der Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers muss in der Regel das zuständige Integrationsamt vorab zustimmen. Falls dies nicht geschieht, ist die Kündigung unwirksam und kann auch nicht später genehmigt werden. Das gilt aber nicht für Kündigungen durch den Arbeitnehmer selbst oder einen Aufhebungsvertrag.
IV. Aufhebungsvertrag während der Wiedereingliederung
Da das Arbeitsverhältnis unabhängig von der Wiedereingliederung ist, können Sie auch einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber vereinbaren. Damit wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Je nach Verhandlungsgeschick können Sie dabei auch eine gute Abfindung erzielen.
Der Abschluss eines Aufhebungsvertrag muss stets wohl überlegt sein. Gegebenenfalls droht nämlich eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld und dem Krankengeld.
V. Fazit
- Das Wiedereingliederungsverhältnis ist ein Vertrag eigener Art, der neben das normale Arbeitsverhältnis tritt und davon unabhängig ist. Er soll der Rehabilitation dienen, während Sie arbeitsunfähig sind.
- Im Rahmen dessen arbeiten Sie nach einem festgelegten Plan soviel, wie es Ihr Gesundheitszustand zulässt.
- Die Beendigung des Vertrages tritt entweder automatisch ein oder kann durch einfache Erklärung herbeigeführt werden.
- Für das ruhende Arbeitsverhältnis bleiben grundsätzlich die regulären Kündigungsschutzregeln in Kraft.