Im Arbeitsleben gilt die Faustregel: Je länger ein Arbeitnehmer seinem Betrieb treu geblieben ist, desto besser ist er vor Kündigungen geschützt. Das gilt auch für die Abfindung – diese fällt in der Regel höher aus, je länger jemand in einem Betrieb beschäftigt war. Was bei einer Abfindung nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit zu beachten ist, erklären wir im Folgenden.
Dieser Artikel stammt von Herrn Rechtsanwalt Dr. Hartmut Breuer, der seit über 20 Jahren als Anwalt für Arbeitsrecht in Berlin berät.
1. Erhält man immer eine Abfindung nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit?
Wer seinen Job nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit verliert, erwartet, nicht mit leeren Händen auszugehen. Auch wenn im Gesetz nicht zwingend eine Abfindung bei Kündigungen nach langer Betriebszugehörigkeit vorgesehen sind, wird eine Abfindung in der Regel doch gezahlt. Gerade bei betriebsbedingten Kündigungen, wenn also der Arbeitgeber wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder einer Umstrukturierung kündigt, stellt eine Abfindung den Normalfall dar.
Generell kommen vor allem die folgenden sechs Wege für eine Abfindung in Betracht:
- Aufhebungsvertrag: Um das Arbeitsverhältnis rechtssicher zu beenden, treten Arbeitgeber oft mit dem Angebot eines Aufhebungsvertrages an Arbeitnehmer heran. Darin können unterschiedliche Regelungen für die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden, etwa zu einer unwiderruflichen bezahlten Freistellung, einem Wettbewerbsverbot und zum Arbeitszeugnis. Im Vordergrund steht aber in der Regel, praktisch als „Gegenleistung“ für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, eine Abfindung.
- Vergleich: In eine ähnliche Richtung geht die Abfindung in einem gerichtlichen Vergleich. Falls der Arbeitgeber gekündigt hat (hier kommen grundsätzlich alle Arten der Kündigung in Betracht), wird häufig nicht darüber entschieden, ob die Kündigung wirksam war. Der Prozess und zugleich das Arbeitsverhältnis enden schon vor dem Urteil durch einen Vergleich, wobei der Arbeitnehmer im Gegenzug eine Abfindung erhält.
- Auflösungsantrag: Auch beim Auflösungsantrag (§ 9 KSchG) ist es bereits zu einem Kündigungsschutzprozess gekommen. Hier können der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber beantragen, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, obwohl die Kündigung an sich unwirksam wäre. Voraussetzung dafür ist, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, etwa wegen erheblicher Auseinandersetzungen während des Verfahrens, unzumutbar wäre. Dem Arbeitnehmer ist dann eine Abfindung zu zahlen.
- Klageverzicht bei betriebsbedingten Kündigungen: Um das Risiko eines Kündigungsschutzprozesses von Beginn an auszuschließen, können Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen auch die Option des Klageverzichts gegen eine Abfindung wählen (§ 1a KSchG). Damit verzichtet der Arbeitnehmer darauf, gegen die Kündigung vorzugehen, und erhält dafür eine Abfindung. Der Arbeitgeber muss dieses Angebot bereits im Kündigungsschreiben machen.
- Abfindung im Arbeitsvertrag oder im Tarifvertrag vorgesehen: Eher selten ist der Fall, dass bereits im Arbeitsvertrag eine Abfindung für den Fall der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber vereinbart ist. Auch Tarifverträge könnten eine solche Regelung grundsätzlich enthalten. Insbesondere die Abfindung für Geschäftsführer ist gelegentlich bereits im Anstellungsvertrag vorgesehen.
- Abfindung im Sozialplan: Bei der Entlassung vieler Arbeitnehmer auf einmal schließen der Arbeitgeber und der Betriebsrat in der Regel einen Sozialplan. Dieser soll die finanziellen Folgen des Arbeitsplatzverlustes für die Arbeitnehmer zumindest abmildern und enthält daher üblicherweise Abfindungen in unterschiedlicher Höhe für die betroffenen Arbeitnehmer.
2. Wie viel Abfindung nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit ist üblich?
So wie die Abfindung nicht zwingend, aber üblich ist, gibt es auch keine feste Vorgabe für die Höhe der Abfindung. Gerade bei einem Aufhebungsvertrag und beim gerichtlichen Vergleich ist die Höhe der Abfindung Verhandlungssache. Die folgende Formel wird jedoch in vielen Fällen zur Berechnung der Abfindungshöhe herangezogen:
Jahre der Betriebsangehörigkeit x halbes Bruttomonatsgehalt.
Beispiel: Arbeitnehmer A war 20 Jahre als Facharbeiter in der Produktion für ein Automobilunternehmen tätig. Da an dem Standort, an dem er tätig ist, in erheblichem Umfang Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, schließt der Arbeitgeber mit vielen älteren Arbeitnehmern Aufhebungsverträge. A bezog ein Bruttomonatsgehalt von 5.000€. Die Abfindung würde in seinem Fall daher 50.000€ brutto betragen.
Diese Formel dient nur als grobe Orientierung, wie der nächste Abschnitt zeigt.
3. Wann fällt die Abfindung nach 20 Jahren im Betrieb höher aus?
Eine Abfindung kann insbesondere dann höher ausfallen als nach der üblichen Abfindungsformel, wenn die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit unwirksam wäre und es daher wohl zu einem Vergleich kommen würde. In diesen Fällen bieten Arbeitgeber unter Umständen einen Aufhebungsvertrag mit höherer Abfindung an.
Bei Arbeitnehmern mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit kann eine Kündigung aus mehreren Gründen erschwert sein:
- Interessenabwägung: Bei jeder Kündigung sind die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes abzuwägen. Ein Kriterium ist hierbei die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sodass eine Kündigung unwirksam sein könnte, da die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen.
- Sozialauswahl: Bei der betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber genau prüfen, welchen Arbeitnehmern er kündigt, wenn er nicht gerade den ganzen Betrieb schließen will. Wer eine lange Betriebszugehörigkeit vorweisen kann, gehört dabei in der Regel zu den sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmern. Hier kann die Kündigung ebenfalls unwirksam sein, was für eine höhere Abfindung spricht.
- Kündigungsschutz im Tarifvertrag: In manchen Tarifverträgen ist zum Beispiel ab dem Erreichen des 50. Lebensjahres und bei einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren die ordentliche Kündigung für den Arbeitgeber ausgeschlossen. Zwar kann der Arbeitgeber dann grundsätzlich noch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist aussprechen, doch ist die Wirksamkeit einer solchen Kündigung oft fraglich, da hierfür hohe Voraussetzungen gelten. Es müsste dem Arbeitgeber unzumutbar sein, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten.
Achtung: Im Fall der Abfindung aus einem Sozialplan kann sich eine lange Betriebszugehörigkeit ausnahmsweise negativ auswirken. Arbeitnehmer mit 20 Jahren Betriebszugehörigkeit oder mehr gehören in der Regel „rentennahen Jahrgängen“ an. Sie sind also ohnehin bald durch eine Altersversorgung abgesichert. Daher erhalten sie in manchen Fällen eine geringere oder gar keine Abfindung.
Das Bundesarbeitsgericht hält dies für eine zulässige Form der Ungleichbehandlung aufgrund des Alters, da die Abfindungen aus dem Sozialplan vor allem die schutzbedürftigsten Arbeitnehmer absichern und der Überbrückung dienen sollen.
In jedem Fall gilt aber: Die Abfindung im Sozialplan ist nur ein erstes Angebot. Oft lassen sich höhere Beträge individuell aushandeln.
4. Ist die Abfindung zu versteuern?
Abfindungen werden als Arbeitslohn behandelt. Besteuert werden sie dabei als „außerordentliche Einkünfte“ (§§ 34, 24 Nr. 1 EStG). Um nicht einen großen Teil der Abfindung versteuern zu müssen, sollten Sie prüfen, ob in Ihrem Fall die sogenannte Fünftelregelung anwendbar ist. Danach wird die Abfindung steuerlich so behandelt, als würde der Arbeitgeber sie über fünf Jahre verteilt auszahlen. Profitieren können von dieser Regelung vor allem Arbeitnehmer, die einen niedrigen Steuersatz zahlen und eine hohe Abfindung erhalten.
Folgende drei Voraussetzungen gelten für die Fünftelregelung:
- die Kündigung wurde durch den Arbeitgeber ausgesprochen;
- die Abfindung wurde für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt und
- die Abfindung wird dem Arbeitnehmer als Einmalzahlung innerhalb eines Jahres geleistet.
In vier Schritten wird berechnet, in welcher Höhe die Abfindung zu besteuern ist:
- Die Einkommenssteuer, die für das Jahr ohne die Abfindung zu zahlen wäre, wird berechnet.
- Zum Jahreseinkommen wird ein Fünftel der Abfindung hinzugerechnet. Aus der Summe wird die Einkommenssteuer berechnet.
- Die Differenz zwischen den beiden Beträgen wird berechnet.
- Dieser Betrag wird verfünffacht. Das Ergebnis ist die Einkommenssteuer, die für die Abfindung zu zahlen ist.
Zu beachten sind noch zwei wichtige Aspekte. Erstens muss die Anwendung der Fünftelregelung beantragt werden, sie wird nicht automatisch berücksichtigt. Zweitens hat die Anwendung der Fünftelregelung nicht zur Folge, dass die Steuer auf die Abfindung verteilt über fünf Jahre gezahlt wird. Es bleibt dabei, dass die Steuer in dem Jahr gezahlt wird, in dem sie anfällt (also ausgezahlt wird).
5. Was ist zu tun, um eine Abfindung zu erhalten?
Um eine Abfindung zu erhalten, lohnt es sich, die Hilfe eines erfahrenen Fachanwalts für Arbeitsrecht zu suchen. Da die Höhe der Abfindung oft Verhandlungssache ist und zudem von taktischen Erwägungen im Kündigungsschutzprozess abhängt, kann dieser für Sie oft eine höhere Abfindung erreichen.
In jedem Fall ist schnelles Handeln gefragt. Die Kündigung gilt nämlich als wirksam, wenn nicht innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung eine Klage beim Arbeitsgericht erhoben wird. Wer diese Frist versäumt, hat kaum noch eine Chance, eine Abfindung zu erhalten. Auch falls ein Aufhebungsvertrag vorliegt, lohnt es sich, frühestmöglich einen Anwalt heranzuziehen, damit dieser in den Verhandlungen ein möglichst vorteilhaftes Ergebnis für Sie erzielen kann.
6. Fazit
- Anders als häufig angenommen wird, kann ein Arbeitsverhältnis nicht nur gegen eine Abfindung beendet werden. Eine Abfindung ist jedoch üblich und kann sich vor allem aus einem Aufhebungsvertrag, einem Vergleich oder einem Sozialplan ergeben.
- Die Abfindung fällt nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit in der Regel relativ hoch aus. Die Abfindungsformel, die üblicherweise herangezogen wird, lautet: Jahre der Betriebszugehörigkeit x halbes Bruttomonatsgehalt.
- Falls eine Kündigung unwirksam wäre, haben Arbeitnehmer eine bessere Verhandlungsposition und können daher oft eine höhere Abfindung erreichen.
- Abfindungszahlungen sind als außerordentliche Einkünfte zu versteuern. Auf Antrag kann dabei die sog. Fünftelregelung angewandt werden, die sich für den Arbeitnehmer günstig auswirkt.
- Um eine hohe Abfindung zu erhalten, sollten Arbeitnehmer stets einen erfahrenen Anwalt hinzuziehen.